FilmReviewsReview: 'Tenet'

Review: ‚Tenet‘

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Zehn Jahre nach ‚Inception‘ fordert Christopher Nolan uns auf ähnliche Weise erneut heraus: mit einem Bombardement aus Gedankenspielen, einschneidenden Sounds, philosophischen Ideen. Mit John David Washington und Robert Pattinson. 
Der neue Bond-Film: in den November verschoben. Disneys ‚Mulan‘: Soll in vielen Ländern nur als Stream starten. ‚Top Gun 2‘: Kommt wohl erst 2021. Die Corona-Pandemie hat 2020 schon manch einem Blockbuster einen Strich durch die Kinokassen-Rechnung gemacht.
Ein Hollywood-Hoffnungsträger aber bleibt: ‚Tenet‘. Zwar wurde auch der Start-Termin von Christopher Nolans elftem Spielfilm ein ums andere Mal verlegt. Nun aber soll es tatsächlich so weit sein: In Deutschland und anderen Ländern startet der, wie kaum ein anderes großes Werk in diesem außergewöhnlichen Kino-Sommer erwartete, ja herbeigesehnte Film endlich.
Endlich wieder großes Blockbuster-Kino, ein Fest für Cineasten.
Allerdings sind und waren die Erwartungen an den Film seitens Kinos, Verleih, Studio, Publikum, Branche so gigantisch, dass ‚Tenet‘ und selbst ein Christopher Nolan diese Erwartungen niemals erfüllen kann. Er kann und wird nicht das Kino retten. Nicht diesen Kino-Sommer, und nicht dieses katastrophale Kinojahr. Aber er gibt Hoffnung. ‚Tenet‘ ist für die große Leinwand gemacht. Nolan liebt Kino – und das merkt man. Er wird – zumindest einen Teil – der erhofften Zuschauer wieder ins Kino locken. Die notwendigen Hygienekonzepte werden dennoch nur einen Bruchteil der möglichen Zuschauer anlocken können. 
Dennoch, wer (wieder) wissen will wieso Kinos so viel besser sind als 08/15 Formate auf Netflix und Co, der soll bitte gefälligst zu ‚Tenet‘ ins Kino gehen.
Was er geboten bekommt ist ein typischer Nolan. Verschachtelt, verkopfte Story. Tolle Action-Sequenzen, brummender Sound.
Und nein, man versteht nicht sofort alles. Wie auch. Es ist ein Nolan. Wer das kritisiert, nörgelt auch noch immer an Spielberg herum, weil dieser nicht von seinem „Markenzeichen“ – den obligatorischen Kamerafahrten und Close-ups – lassen kann. Ermüdend. Genau deshalb sind Nolan und Spielberg was sie sind. Unverkennbar. Wem das nicht gefällt, sollte sich lieber Filme anderer Filmemacher anschauen, anstatt das immer gleiche „Argument“ vorzutragen.
‚Tenet‘ ist großes Kino. Parallelen zu ‚Inception‘ und der Zeitreisenserie ‚Dark‘ sind offensichtlich.

John David Washington (Der Protagonist) und Robert Pattinson (Neil) in ‚Tenet‘ (Warner Bros. Germany)

Es geht, so heißt es irgendwann in der ersten halben Stunde, ums „Überleben Aller“ in diesem zu jeder Minute beeindruckenden, herausfordernden und durchaus anstrengenden Kunstwerk von einem Film.
Das Überleben der Menschheit, es liegt in der Hand des jungen US-Schauspielers John David Washington. Der Sohn von Denzel Washington spielt im Film einen namenlosen Agenten („der Protagonist“). Es geht in ‚Tenet‘ aber auch, und das macht ihn so spannend und herausfordernd, um Fragen wie diese: Was ist, wenn beim Rennen der Gegenwind plötzlich von hinten kommt? Wie kann es sein, dass jemand bei einer Benzinexplosion keine Verbrennungen, sondern eine Unterkühlung davonträgt? Paradoxien wie diese sind es, die ‚Tenet‘ ausmachen, den Film grundieren. An einem Schießstand etwa muss der Protagonist, der sich anfänglich bei einem Terrorangriff auf die Kiewer Oper als tougher Agent hat bewähren können, lernen, dass Kugeln keineswegs immer nur in eine Richtung fliegen, sondern sich auch gern mal ihren Weg zurückbahnen in den Pistolenlauf. „Mich überrascht nichts mehr!“, heißt es irgendwann aus dem Mund unserer Hauptfigur. Die ist bei ihrem Kampf für die Menschheit allerdings nicht ganz allein: Als eine Art Nebenheld wird ihr Robert Pattinson (die ‚Twilight‘-Saga) an die Seite gestellt. Schon vor zehn Jahren hat uns Mastermind Nolan (‚The Dark Knight‘) mit seinem, von Traumebene zu Traumebene hüpfenden (mit Leonardo DiCaprio besetzten) Rätselwerk ‚Inception‘ manch Gehirnareal verknotet. Diesmal ist es ganz ähnlich: Lässt man sich ein auf die Prämissen des Films („invertierte“ Pistolenkugeln, gegeneinander laufende Zeitstränge, Angriffe aus der Zukunft), dann macht das Leinwandgeschehen viel Spaß, fordert Intellekt und Augengenauigkeit.
Nicht jede Kinogängerin freilich, nicht jeder Leinwandfreund wird sich auf die – nur behauptete? – Komplexität einlassen wollen. Allen Skeptikern aber sei gesagt, dass ‚Tenet‘ auch auf anderen Ebenen funktioniert: Auch wer nichts anzufangen weiß mit „temporalen Zangenbewegungen“, wird einräumen müssen, dass man selten im Kino derart gut gekleidete Menschen zu sehen bekommt. Die exquisiten Anzüge des Protagonisten etwa. Seine, fast wie bei einer Haute-Couture-Schau abwechselnd getragenen, streng geknöpften, äußerst geschmackvollen Poloshirts in diversen Farbtönen. Ebenso die tollen Kleider der ebenfalls zum Cast zählenden Elizabeth Debicki. Vollendet ist auch die begleitende Musik: mal hämmernd und pochend, mal sägend, das ohnehin schon strapazierte Hirn noch zusätzlich malträtierend. Der Score stammt nicht von Nolans Stamm-Komponisten Hans Zimmer, sondern vom Oscar-prämierten Schweden Ludwig Göransson (‚Black Panther‘). Allerdings dröhnt es doch hin- und wieder zu laut und nicht immer passend zu den Bildern. Nicht nur Sound Editing auch der Schnitt generell ist im Film zuweilen zu hektisch und unausgewogen. Das liegt ganz offensichtlich daran, dass nicht Nolans Stamm-Cutter Lee Smith, sondern erstmals Jennifer Lame hierfür die Verantwortung trägt.


Altbekannte Nolan-Favoriten findet man dafür auf der Besetzungsliste: Michael Caine (als Butler „Alfred“ in Nolans Batman-Trilogie) hat einen hübsch-distinguierten Kurzauftritt als Informant.

Kenneth Branagh als Andrei Sator in ‚Tenet‘ (Warner Bros. Germany)

Kenneth Branagh, der auch in Nolans ‚Dunkirk‘ spielt, ist grandios als russischer Waffenhändler. Schönste Dialogzeile zwischen Branagh und dem ebenfalls gut aufspielenden Washington: Branagh: „Wie wollen Sie sterben?“ Washington: „Alt“. Hat Branaghs Russe Andrei Sator, der im Film schnell zum Haupt-Antagonisten Washingtons avanciert, mal wieder einen Gegner per Goldbarren ins Jenseits geprügelt, blickt er danach stets aufs Fitnessarmband, um zufrieden festzustellen, dass ihn so ein kleiner Totschlag längst nicht mehr aus der Ruhe bringen kann. Dabei ist auch erstaunlich: Der so dunkle wie hochkomplexe Film hat eine Freigabe ab 12. Ganze 150 Minuten muss man schließlich warten, bis man erfährt, ob es den „Helden“ (richtig passen will das Wort nicht im Zusammenhang mit Nolans enigmatischem Vexierspiel) gelingt, das „Überleben Aller“ zu gewährleisten, ob sie die Welt, wie wir sie kennen, tatsächlich vorm Untergang retten können – eine klitzekleine, Greta Thunberg vielleicht erfreuende, Klimawandelanspielung gestattet sich Nolan zum Finale hin auch noch. Ob es indes dem Film ‚Tenet‘ gelingt, das große Kino, das Blockbuster-Kino, dieses von Absagen und Verschiebungen geprägten Corona-Sommers endlich zu reanimieren – das wird sich so richtig wohl erst in ein paar Wochen sagen lassen. Die Amerikaner selbst müssen auf den Start dieser, geschätzte 200 Millionen Dollar teuren US-britischen Ko-Produktion noch etwas warten. Am 3. September erst soll ‚Tenet‘ dort anlaufen. Auch das eine Besonderheit dieser, an Besonderheiten reichen Kinosaison.  


Die Charaktere wachsen dem Zuschauer in einem Christopher Nolan-Film selten wirklich ans Herz. Empathie verspürt der Zuschauer mit einem der Protagonisten auch in ‚Tenet‘ kaum. Hinter der oft vorgeworfene „kühlheit“ eines Nolan versteckt sich aber viel mehr. Nolan geht es stets um fundamentales. Wie weit würde jemand (für jemand anderen) etc. gehen. Deshalb ist ein ‚Inception‘ viel emotionaler als ihm gemeinhin vorgeworfen wird. Allerdings fehlt ‚Tenet‘ im Gegensatz dazu so etwas wie eine Liebes-Episode. Auch wenn Elizabeth Debicki eine Mutter spielt, die sich Sorgen um ihre Tochter macht. Aber die wahrscheinlich von Debicki beabsichtigt gespielte Unterkühltheit ihrer Rolle, fesselt (wohl gerade deswegen) den Zuschauer nur bedingt.
Die Charaktere des Film schmiegen sich nicht harmonisch in den Film ein. In ihren Episoden funktioniert das, aber betrachtet man den komplette Film, bleibt nicht viel von ihnen übrig.

John David Washington als „Der Protagonist“ in ‚Tenet‘ (Warner Bros. Germany)

Chris Nolan geht es um das große Ganze. Die Menschen sind nur Schachfiguren. Der Fokus verschiebt sich – ständig. Er spielt mit ihnen. Wie mit dem Zuschauer. Wer einen Nolan-Film schaut, lässt sich genau auf dieses Spiel ein.
Der Mensch neigt dazu immer sofort alles verstehen zu wollen. Das dürfte für die meisten auch bei ‚Tenet‘ schwierig werden. Aber, muss man immer alles verstehen? Können Erzählstränge nicht auch Raum für Spekulationen bieten. Kann das Ende eines Filmes nicht auch zweideutig verstanden werden? Kann es. Denn jeder sieht was er sehen will. Und versteht was er verstehen kann und will. So kann man wunderbar über ‚Tenet‘ diskutieren, und seinem Ende.
Nolan spielt mit uns. Das war nie anders. ‚Tenet‘ ist nicht vorhersehbar wie so viele Filme. Aber er hat ein Problem. Der Film ist wie ein großes Puzzle an. Bestehend aus vielen kleinen Teilchen. Er fügt sich aber letztlich für den Zuschauer nicht harmonisch zusammen. Jede Szene ist großartig. Als ein Bündel an Sequenzen funktioniert ‚Tenet‘. Aber als großes Ganzes fühlt sich der Film einfach nicht rund an. Man hat das Gefühl, Nolan wollte mehr denn je zeigen was er in Sachen „Zeitokalypse“ kann. Zu angestrengt kommt ‚Tenet‘ deshalb daher. Dem Film fehlt schlichtweg etwas was ihn zusammenhält. Man ist geneigt zu sagen, so banal das klingt; Herz, es fehlt ihm Herz.
Zumindest „verwirbelt“ ‚Tenet‘ das Gehirn des Zuschauers.
‚Tenet‘ ist großes Blockbuster-Kino. Und jeder Kino-Liebhaber sollte dafür ins Kino gehen. Ein visuelles Erlebnis. Man solle sich nur darauf gefasst machen, nicht unbedingt den besten Nolan-Film aller Zeiten vorgeführt zu bekommen.

Nolan lässt das Publikum erneut fragend zurück. Ob im positiven oder negativen Sinne. Ganz wie im Film. Oder doch nicht?

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