Film Review: ‚Hereditary‘

Hereditary
Hereditary (Splendid Film)

Regie: Ari Aster
Cast: Toni Collette, Gabriel Byrne, Alex Wolff, Ann Dowd u.v.m.
USA 2018
Horror, Drama
123 Minuten
FSK 16


 

Die Traumata des Ari Aster

Schon die Kurzfilme von Regisseur Ari Aster waren thematisch nahe an seinem Langfilm-Debüt ‚Hereditary‘. Diese drehten sich ebenfalls um Rituale und Traumata.
Aster hat in seiner eigenen Familiengeschichte einige Unglücksfälle und Tragödien vorzuweisen, von denen er sich gewissermaßen inspirieren lies.

Als Kind traumatisierten ihn zudem Horrorfilme wie ‚Carrie‘, oder ‚Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber‘, letzterer ist weniger ein Horrorfilm, aber wirkt zuweilen verstörend.
Diese Erfahrungen mit dem Genre haben Aster lange beschäftigt. Er stellte sich die Frage wieso Menschen zu gewissen Taten fähig sind.
Dies lässt er nun in ‚Hereditary‘ eindrucksvoll einfließen. Ebenso die Wichtigkeit der Ästhetik, die eine gewisse Kunstfertigkeit besitzen sollte, überträgt der Regisseur in seinen Film.

Ihm sind Motive und die Familiengeschichte ebenso wichtig, wie die Inszenierung des Bösen. ‚Hereditary‘ ist im Kern ein Familiendrama. Nach den Tod von Annies (Toni Collette) Mutter Ellen, kommen verstörende Geheimnisse ihrer Familiengeschichte zu Tage. Die Familie ist von nun an dem Schicksal eines unheilvollen Fluches ausgeliefert.

So nimmt sich Ari Aster Zeit, die Familie Graham um Künstlerin Annie (Toni Collette), ihrem Mann, dem Psychotherapeuten Steve (Gabriel Byrne) und die beiden Kinder Peter (Alex Wolff) und Charlie (Milly Shapiro) dem Publikum nahe zu bringen. Er zeichnet mit ihr das Bild einer vermeintlich normalen Familie, die etwas Abseits in einem Haus am Waldrand lebt. Ein Familiendrama, welches der Zuschauer durch einen Horrorfilm-Filter betrachtet.

Hereditary
Familie Graham

Wenn in Utah die Natur erwacht, erwacht mit ihr der Fluch des Bösen

Bereits in der Eröffnungssequenz erleidet die Familie einen schweren Schicksalsschlag. Doch nach dem Tod der geheimnisvollen Mutter von Annie, Ellen Leigh, beginnt erst der wahre Horror. Langsam, allmählich häufen sich Merkwürdigkeiten und scheinbar Paranormale Aktivitäten. Die Familie erbst unwissend einen Fluch, der sie einnimmt und nicht mehr aufzuhalten ist.

‚Hereditary‘ ist bereits von Anfang an mit einer mysteriösen Aura umgeben. Nie weiß man was als nächstes passiert. Und woher diese unerklärlichen Geschehnisse herrühren.
Denn es wird einen weiteren Todesfall geben, der alles auf den Kopf stellt.

Gegenstände machen sich selbstständig, Albträume plagen insbesondere Annie (Toni Collette) und Sohn Peter (Alex Wolff). Was ist Realität, was Einbildung? Im Mittelpunkt steht dabei die Figur von Toni Colette. Ihre Eingebungen bringen sie immer mehr aus der Bahn. Sie verändert sich, weiß aber zunächst selbst nicht was mit ihr los ist. Ihre Familie ist ratlos. Nach und nach aber wird ihr klar, was die Ursache allen Übels ist. Sie recherchiert und stößt auf eine unglaubliche Familiengeschichte.

‚Hereditary‘ thematisiert auch die Trauerbewältigung. Der Verlust eines Familienmitgliedes ist mit das tragischste was einem passieren kann. Und jeder geht anders damit um.
Während Annie sich in ihre Arbeit stürzt und zunehmend ihre Familie vernachlässigt und vor allem ihren Sohn Peter durch Missachtung Vorwürfe macht, verliert dieser ohnehin schon orientierungslose Jugendliche noch mehr Halt im Leben. Alex Wolff spielt mit Peter einen zurückhaltenden Teenager, einen Eigenbrötler, der sich perspektivlos durch die High School Zeit kifft. Während seine Schwester die volle Aufmerksamkeit der Familie auf sich zieht, ist Peter meist das dritte Rad am Wagen.
Doch so bedeutungslos für die Handlung die Figur lange Zeit scheint, ist sie es bei weitem nicht, wie sich erst am Ende des Films herausstellen wird.

Regisseur Ari Aster versteht es zudem im sprichwörtlichen Sinne seine Umwelt einzubinden. Im Frühling, wenn die Natur erblüht, dargestellt durch satte Grüntöne, bildet diese ebenso das Aufblühen des Fluches, der die Familie ereilt wider.

Annie baut mit Miniaturmodellen das Leben der Familie mit kleinen Figuren in Puppenhäusern nach, sie schafft Miniaturen realer Orte und Situationen, perfekte kleine Nachbildungen von teils schrecklichen Ereignissen.
Während für Annie diese Arbeiten an den Modellen gleichzeitig eine Therapie darstellen, ist für ihren Mann das vertiefen in ein Buch eine bildliche Metapher dafür, dass sich ihr Mann Steve (Gabriel Byrne), stets zurückhält. Er stellt den Ruhepol in der Familie dar. Bis zuletzt glaubt er nicht an Annies paranormalen Vorstellungen, Träumen oder den angeblichen Vorgängen in ihrem Haus oder Umgebung. Steve ist auch die einzige Person der Familie, die keine Wahnvorstellungen zu haben scheint. Quasi unbeteiligt. Er versucht verzweifelt seinen Sohn Peter vom Treiben der Mutter zu isolieren, scheitert aber. Auch sein Schicksal ist längst besiegelt.

Beängstigend intensiv und geheimnisvoll gleichermaßen spielt Milly Shapiro die Familientochter Charlie. Das Mädchen braucht besondere Aufmerksamkeit, bekommt Förderunterricht, malt gerne und sieht indirekt als erste die Vorzeichen des Fluches kommen. Gleichzeitig ist sie auch deren Auslöser.

Der Psycho-Horror-Thriller ‚Hereditary‘ lebt von seiner unglaublich verdichteten Atmosphäre, zunehmenden Kälte, dem unvorhersehbaren und von den starken Darstellern. Toni Collette sticht durch ihre Performance zweifelsohne hervor. Von einer trauernden Tochter, besorgten Mutter, über eine dem Wahnsinn verfallenen Frau bis schließlich zur Marionette des Bösen, umfasst ihre Figuren viele verschieden Facetten und Gefühlsschwankungen, die die Schauspielerin phänomenal leidenschaftlich zum Ausdruck bringt.

Hereditary

Die Vererbung des Schicksals und des Fluches

Von Minute eins, wenn die Kamera in eines der Puppenhäuser schwenkt und damit den Tod der Großmutter darstellt, über beängstigende und beklemmende Erscheinungen im Hause der Familie Graham, dabei der Zuschauer bis zuletzt aber im unklaren darüber bleibt wo das Böse herkommt, da es zuweilen Gesichtslos bleibt, schafft es Regisseur Ari Aster dem Publikum bis zur letzten Minute ein wahrlich ungutes Gefühl aufzuerlegen, was sich schwer beschreiben lässt. Aber die Tatsache, dass der Film ohne handelsübliche Jump-Scares oder Horror-typische Handlungsstränge auskommt, macht ihn zu einem besonderen Genre-Film in der Sektion Horror. Und kann daher als eines der Horror-Highlights des Jahres bezeichnet werden.
Regisseur und Drehbuchautor Ari Aster vernetzt in ‚Hereditary‘ geschickt Trauerbewältigung, Familiendrama, Horror, Verlust und Familienerbe zu einem unvorhersehbaren Psycho-Horror, der niemanden kalt lässt und lange nachwirkt. Das war nach jahrelanger akribischer Arbeit Asters Ziel. Und das hat er geschafft. Einen großen Beitrag hat außerdem die dezente, aber im richtigen Moment eingespielte Musik von Colin Stetson, die die Stimmung des Films sehr gut musikalisch zu untermalen weiß.

 

 


Drehbuch: Ari Aster
Produzenten: Kevin Frakes, Lars Knudsen
Kamera: Pawel Pogorzelski
Schnitt: Jennifer Lame
Musik: Colin Stetson

 

Jetzt auf DVD/Blu-ray erhältlich

 

Überblick der Rezensionen
Ron Junghans / JayCarpet
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hereditary'Hereditary' ist ein traumatisierender Film. Keine leichte Kost. Ein Familiendrama, deren Protagonisten dem Zuschauer nicht egal sind, da Regisseur Ari Aster ihnen genügend Entfaltung gibt, um Empathie für diese Aufzubringen. Keine Selbstverständlichkeit in diesem Genre. Auch weiß man nie wirklich was als nächstes kommt. Doch lauern nicht etwa hinter jeder Tür plumpe Jump-Scares, sondern handelt es sich hierbei vielmehr um intelligenten Psycho-Horror, der im Laufe der Spielzeit immer bedrückender wird. Ein starker Cast mit einer überragenden Toni Colette machen den Film zu einem der besten im Genre-Horror.