FilmReviewsOscarwürdig: Anthony Hopkins im Drama 'The Father'

Oscarwürdig: Anthony Hopkins im Drama ‚The Father‘

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Aus Sicht eines Demenzkranken: Anthony Hopkins in ‚The Father‘

Seinen ersten Oscar erhielt Anthony Hopkins 1992 für die Rolle des Serienmörders Hannibal Lecter im Thriller ‚Das Schweigen der Lämmer‘. Seinen zweiten bekam er im April diesen Jahres, im Alter von 83 Jahren, für die Darstellung eines demenzkranken Mannes im Drama ‚The Father‘.

So unterschiedlich die Genres, so brillant-eindringlich ist Hopkins‘ Spiel. Im stillen Demenz-Drama ‚The Father‘ changiert er nun zwischen herrischem Patriarch, lebensfrohem Charmeur und hilflosem Greis „Anthony“. An seiner Seite in diesem kammerspielartigen Film überzeugt Olivia Colman (‚The Favourite‘) als aufopfernde Tochter zwischen Verzweiflung und Hoffnung. Der französische Regisseur Florian Zeller zeichnet in der Filmfassung seines Stoffes, den er bereits 2012 auf die Theaterbühne gebracht hat, das feinfühlige Porträt eines alten Mannes, der langsam sich selbst und die Welt um sich herum verliert, präsentiert mit einigen interessanten erzählerischen Kniffen.

Es ist ein stiller Film, unaufdringlich, subtil, aber dafür umso eindringlicher. Und das liegt vor allem an den Hauptdarstellern: Anthony Hopkins brilliert in ‚The Father‘ als stolzer, teils störrischer alter Mann, der zusehends seiner Demenz verfällt und nicht begreifen kann, was um ihn herum passiert. Olivia Colman als Tochter steht ihm in ihrer Intensität in nichts nach: Zwischen Verzweiflung und Hoffnung, zwischen Liebe und Ärger changiert ihr Verhältnis zum immer abständiger werdenden Vater.
Keine leichte Kost, aber dennoch mit einer gewissen Leichtigkeit präsentiert.

Regisseur Florian Zeller erzählt in seinem Spielfilmdebüt die Geschichte von Anthony und Anne nicht strikt chronologisch, nicht kohärent. Er wagt Sprünge, ohne diese anzukündigen. Er präsentiert plötzlich eine andere Schauspielerin (Olivia Williams), die Anne sein soll und die Anthony ebenso wenig als diese erkennen kann wie die Zuschauer. Und er gibt damit einen Einblick in Anthonys von Demenz gezeichneter Wahrnehmung: Hat das Gespräch mit Anne über ihren Umzug nach Paris wirklich stattgefunden? Gab es den Streit mit ihrem Ehemann? Gibt es diesen Ehemann überhaupt? Oder war das nur in Anthonys Kopf?

Zeller verzichtet in seinem Demenz-Drama wohltuend auf medizinischen Fachjargon, auf Analysen in weißen Kitteln, auf Klinik-Standards. Er konzentriert sich voll auf seine beiden Hauptfiguren: Anthony, diesen intelligenten, starken Mann, der sich und die Welt herum mehr und mehr verliert. Und Anne, diese liebevolle, um ihren Vater kämpfende Tochter, deren Kräfte langsam zur Neige gehen. Er beschreibt damit, auf filmdramatische Weise, wohl ein Szenario, dass sich hunderttausendfach in Familien abspielt: Der schwere Umgang mit der Demenz eines geliebten Mensch; der Schmerz darüber, von diesem Menschen nicht mehr erkannt zu werden; der Verlust eines Menschen, seiner Erinnerungen, seiner Identität.
Hopkins spielt all dies mit der ihm eigenen Intensität zwischen Stärke und Verletzlichkeit. Er ist der dickköpfige Patriarch, der gemeine Dinge sagt. Er ist der Charmeur, der die junge Pflegerin beim Whisky zum Lachen bringt. Er ist der verzweifelte alte Mann, der nicht mehr weiß, was um ihn herum passiert. Dabei trägt er selten zu dick auf, sondern changiert gekonnt zwischen diesen Extremen.
Seinen zweiten Oscar als bester Hauptdarsteller erhielt der 83-jährige Brite dafür mehr als verdient. Hopkins ist damit der älteste Preisträger dieser Kategorie.

Anthony Hopkins in ‚The Father‘

„Er verliert immer mehr Blätter“

Das Demenzdrama ‚The Father‘ ist zugleich eine Faszinierende Vater-Tochter-Studie. Die Frage „Wer genau bin ich eigentlich?“ begleitet „Anthony“ und den Zuschauer durch den Film.
Regisseur Florian Zeller hat es treffend beschrieben: „Demenz ist, wenn man alt wird, und es ist, als entwickelte man sich wieder zurück in ein einsames Kind.“ Genau so beobachtet man Hopkins bei seinem Spiel. Immer wieder sieht man dieses verängstigte Kind. 

Und dann ist er wieder grausam zu seiner Tochter, spricht nur von Annes Schwester, als seine Lieblingstochter. Er spielt seine Spielchen, aus Angst und Schwäche, er ist grausam und charmant zugleich. 
Eindrucksvoll spielt Olivia Colman als Athonys Tochter Anne diese Zerrissenheit zwischen bedingsloser Liebe zu ihrem Vater und dem aushalten des Schmerzes, den ihr Vater durch seine Gemeinheiten auslöst. Sie kämpft um ihn, muss aber erkennen, das dieser Kampf nicht gewonnen werden kann. Eine Tatsache und Erkenntnis, die sich bei ihr nur sehr langsam durchsetzt. Angehörige von Demenzkranken wissen das nur zu gut.

Denn „Anthony“ versucht eine Normalität aufrechtzuerhalten, die gleichzeitig von permanenter Panik bestimmt wird, weil er nicht weiß was vor sich geht. An Normalität ist nicht zu denken, egal wie sehr „Anthony“ versucht diese aufrechtzuerhalten. Denn Hilfe will er auf keinen Fall. Auch das können Angehörige nachvollziehen.

Es führt dazu, dass man vergessen hat wer man wirklich ist und wo man hingehört.
Wenn dann in kleinen intimen Momenten diese Erkenntnis bei „Anthony“ doch einmal für einen ganz kurzen Moment aufblitzt, führt das zu herzzerreißenden Augenblicken, die niemanden kalt lassen.

Regisseur Florian Zeller wollte mit seinem Film nicht nur eine Geschichte erzählen, sondern die Zuschauer aktiv einbinden und setzt diese selbst in diese besondere Situation hinein, wie es ist (selbst) Dement zu sein. Was ihm auf eindrucksvolle Weise gelungen ist. 
Denn bereits in den ersten Minuten verwirrt er die Zuschauer. Man fängt an an sich zu zweifeln. Der Perspektivwechsel trägt daran einen Anteil.
Wie sonst in anderen Filmen meist üblich, beobachtet der Zuschauer nicht nur von außen die Demenz, sondern sieht sie aus der Sicht des Betroffenen. Das eröffnet eine neue Perspektive in diese sonst so verwirrende Welt. Das ist das eigentliche Glanzstück dieses Films.

Zeller beschreibt die Geschichte als ein Labyrinth, und der Zuschauer muss selbst einen Weg daraus finden. Trotzdem und genau deswegen, bleibt der Film dem Publikum lange im… Gedächtnis.

‚The Father‘ – ab dem 25. November digital erhältlich und ab 03. Dezember 2021 auf DVD und Blu-ray

(Tobis Home Entertainment GmbH, im Vertrieb der LEONINE Distribution) 

‚The Father‘, Großbritannien/Frankreich 2020, 97 Min., FSK ab 6
Regie: Florian Zeller
Mit Anthony Hopkins, Olivia Colman, Mark Gatiss, Imogen Poots, Rufus Sewell, Olivia Williams


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