Wie verlässt man mit Würde das Leben, wenn man noch bei Verstand und doch längst dem Tod nahe ist? Fragen wie diese stellt Roger Michell in ‚Blackbird‘.
Immer wieder gelingt es dem Kino, aus festlichen oder familiären Zusammenkünften die tollsten, teilweise auch erschreckendsten Funken zu schlagen: Man denke nur an so innovative Werke wie ‚Das Fest‘, an Komödienschlager wie ‚Vier Hochzeiten und ein Todesfall‘. Im hochkarätig besetzten ‚Blackbird‘ von Regisseur Roger Michell (‚Notting Hill‘) nun darf man lachen und weinen zugleich. Es geht um sieben Familienmitglieder und eine der Familie verbundene Freundin, die alle zusammen kommen in einem sehr schicken, sehr hübsch am Meer gelegenen Haus. Ein erlesenes Setting, in dem sich indes todtraurige Dinge abspielen: Zusammengekommen nämlich sind alle in diesem Film, um sich von der von Susan Sarandon (‚Dead Man Walking‘) gespielten, im Sterben liegenden Hauptfigur zu verabschieden.Kann man dem Tod ein Schnippchen schlagen, indem man Weihnachten vorverlegt, an der prächtigen Festtafel einen Joint im Familienrund kreisen lässt? Leider nicht. Man kann aber derart die Stimmung so sehr heben, dass man auch im Kinosessel für kurze Zeit vergisst, dass es sich bei diesem Familiendrama um eine Geschichte über eine todkranke Frau (Susan Sarandon als Hauptfigur Lily), einen Beitrag zum Thema Sterbehilfe handelt.
‚Blackbird‘, das Remake eines Bille-August-Films von 2014 (‚Stille Hjerte‘), erzählt nicht nur vom Abschiednehmen, er stellt auch wichtige Fragen: Wie viel Egoismus steckt in dem – so nachvollziehbaren – Wunsch eines dem Tode geweihten Menschen, vorzeitig und selbstbestimmt aus dem Leben zu scheiden? Der für die Neuauflage verantwortliche Roger Michell hat dazu einen ziemlich famosen Cast um sich versammelt: von Kate Winslet (die man erst in dem Moment wirklich erkennt, als sie die dunkle Brille, die sie zu dunklen Haaren trägt, einmal lüftet) über den reduziert agierenden Sam Neill (als Mann der kranken Protagonistin), die innerlich wie äußerlich derangierte Mia Wasikowska hin zu Sarandon, die das Leid ihrer Figur mit stets virtuos ausbalancierter Ironie und Lebensfreude konterkariert. Einmal, das Essen ist bereitet, ruft sie ihre lesbische Tochter und deren Freundin: „Anna, Chris, ich bin bald tot, kommt ihr runter!?“ Dass sich die kammerspielartige Inszenierung ausschließlich auf die, in Lilys pittoresk am Meer gelegenen Haus zum Abschied versammelten acht Familienmitglieder fokussiert, führt zu einer Nähe, die ans Theater erinnert und durchaus als emotionale Zumutung empfunden werden kann.
‚Blackbird‘ ist zwar ein veritabler Tränen-Zieher, läuft indes nie Gefahr, allzu kitschig zu werden: Da sind all die wunderbar gespielten Szenen, in denen sich die Familie mal ankeift, mal beim Pantomime-Spiel näherkommt – mal einfach nur kollektiv am Joint nuckelt. Eine Szene im Übrigen, die mehr über innerfamiliäre Zusammenhänge und Abhängigkeiten erzählt als so manch ausgeklügelte Familienaufstellung unter therapeutischer Aufsicht. Auch wenn der Film sein Hauptthema (Sterbehilfe) nie verrät oder auch nur zu vergessen droht, so gelingt ihm doch hier und da das kleine Kunststück, einen Film mit einem derart ernsten Plot wie ein Feel-Good-Movie aussehen zu lassen. Auch wenn der Film nichts völlig neues erzählt und sich in gewisser Weise auch wie ein Remake anfühlt, so lässt der 97-Minüter, der bei uns mit dem Titel-Zusatz „Eine Familiengeschichte“ in die Kinos kommt, denn auch vor allem mit zwei, in ihrer Summe so traurigen wie erbaulichen Botschaften zurück: Die Tage vergehen zu langsam und die Jahre zu schnell. Sowie: Das Einzige, was wirklich zählt, ist die Liebe.
‚Blackbird‘ – Kinostart 24. September 2020