Franz Biberkopf gehört zu den bekanntesten Romanfiguren des 20. Jahrhunderts. Nun geht eine Neuverfilmung von ‚Berlin Alexanderplatz‘ auf der Berlinale ins Rennen – und die entwickelt schon am Anfang einen unglaublichen Sog.
Man kann sich leichtere Projekte suchen. Wer Alfred Döblins Roman „Berlin Alexanderplatz“ aus den 1920ern verfilmen will, muss gegen große Vorlagen ankommen. Regisseur Burhan Qurbani versucht es nun und geht damit als zweiter deutscher Filmemacher auf der Berlinale ins Rennen um den Goldenen Bären. Und eins schon vorweg gesagt: Die Geschichte wird eine andere sein.
Im Roman verlässt der Lohnarbeiter Franz Biberkopf nach Jahren das Gefängnis. Anders im neuen Film: Menschen ertrinken im Mittelmeer. Einer überlebt und versucht, in der deutschen Großstadt ehrlich durchs Leben zu gehen. Doch er landet im heutigen Berlin zwischen Dealern im Stadtpark Hasenheide, einem Umschlagplatz für Haschisch und andere Drogen.
Der Protagonist – großartig gespielt von Welket Bungué – heißt im Film nicht Franz, sondern Francis. Er rettet sich aus Guinea-Bissau und lernt in einem Berliner Fahrstuhl den Gangster Reinhold kennen. Albrecht Schuch (‚Systemsprenger‘) spielt den als ziemlich irren Typen, mit schrägem Gang und säuselnder Stimme. Eigentlich will Francis ein guter Mensch werden. Aber Reinhold verwickelt ihn in seine Drogengeschäfte, nimmt ihn mit in Bordelle und Clubs, heuert neue Kuriere an und lässt Geldscheine aus einer Spielzeugpistole flattern. Dann eskaliert die Situation – und Francis trifft die Prostituierte Mieze (Jella Haase/’Fack ju Göhte‘).
Mit seinem Buch wurde Döblin (1878-1957) zum Literaturstar der Weimarer Republik. Die expressive Sprache, eine rasante Szenenmontage, gute Dialoge und die beim Lesen fast spürbare Hektik des Großstadtlebens haben den Roman zum Welthit gemacht. Nicht ganz einfach, diese Geschichte zu verfilmen – außerdem gibt es bereits zwei berühmte Vorlagen. Die erste Verfilmung erschien 1931 mit Theaterstar Heinrich George, dem Vater von ‚Schimanski‘-Darsteller Götz George. Die heute berühmtere, ja, legendäre Filmversion hat Reiner Werner Fassbinder als 14-teilige Miniserie inszeniert. Das war noch lange vor dem großen Serienhype und Netflix-Abos – nämlich 1980. Die Erstausstrahlung mit Stars wie Günter Lamprecht, Gottfried John, Hanna Schygulla und Barbara Sukowa war in Ost- und West-Deutschland eine ziemliche Sensation. Aber eins nervte manche Zuschauer: Die Bilder waren so dunkel, dass man sie auf den Fernsehgeräten kaum entschlüsseln konnte. Manche fanden die Variante auch arg schmuddelig und sexuell aufgeladen. Heute gilt sie als Kult-Klassiker.
Eine Neuverfilmung – das war klar – hat es schwer. Das weiß auch Regisseur Qurbani. Er habe schon seit längerem eine Geschichte über die Jungs in der Hasenheide machen wollen. Dann habe er sich gedacht: „Was, wenn ich Berlin Alexanderplatz nehme?“ Dann könne man seinen Film und die Geschichte der Menschen dort nicht ignorieren, dann müsse man hinschauen. Damit hat Qurbani recht. Sein Film entwickelt am Anfang einen ziemlichen Sog. Die ersten Aufnahmen zeigen zwei Menschen im Wasser, das Bild ist auf den Kopf gedreht und das Wasser in rotes Licht getaucht. Qurbani schafft einen atmosphärisch dichten Film mit Musik und Geräuschen, nimmt einen mit in Clubs und Strip-Bars, in eine Flüchtlingsunterkunft und Edelhotels, zu Menschen mit Migrationsgeschichte und eigenen Geschlechtsidentitäten. „Dies ist die neue Welt – gebaut aus Dreck und Puderzucker“, heißt es im Film. „Wir sind die neuen Deutschen.“
Welket Bungués starke Präsenz gibt dem Film einen Großteil seiner Energie. Die Geschichte an sich ist aber ziemlich gradlinig und auserzählt. Geschildert wird der Plot aus Sicht von Mieze, die immer wieder Roman-Zitate nutzt. Die Geheimnisse der Figuren werden weitgehend aufgeklärt, selbst ein bisschen Hoffnung gibt es noch.
Verglichen mit anderen Filmen, die dieses Jahr im Wettbewerb der Internationalen Filmfestspiele laufen, traut man der Romanverfilmung zu, ein größeres Publikum in die Kinos zu locken. Das hat sicher auch damit zu tun, dass der Regisseur sehr dicht bei sich selbst geblieben ist. Qurbani hat afghanische Wurzeln. Nach eigenen Angaben hat er oft das Gefühl, zwischen den Kulturen zu stehen. In Döblins Roman gehe es darum, den Franz Biberkopf am Ende in die Mittelschicht der Gesellschaft zu setzen, sagte Qurbani in einem Interview. „Das ist für mich eine Kernaussage, und das erzählen wir. Ein Mensch kommt als Fremder in ein fremdes Land. Er ist entblättert von Sprache, von Sicherheit, von Würde. Und er muss es irgendwie schaffen, über das eigene Scheitern zu sich selbst und hier ankommen.“