‚Elaha‘ ist der Abschlussfilm und zugleich das Spielfilmdebüt von Milena Aboyan an der Filmakademie Baden-Württemberg. Am 18. Februar 2023 feierte der Film Weltpremiere bei den 73. Internationalen Filmfestspielen Berlin.
In dem Film geht es um vermeintliche Normen und Werte, die ihren Ursprung im Herrschaftssystem des Patriarchats haben. Dieses System wird den Frauen, aber auch den Männern schonungslos aufgezwungen. Spürbar wird diese Geschichte durch die Ungehorsamkeit einer Frau, die eine ganze Gesellschaftsordnung infrage stellt. Milena Aboyan begleitet mit einem differenzierten Blick eine junge Frau, die sich Stück für Stück selbstermächtigt und die Deutungshoheit über ihren eigenen Körper erlangt.
In ihrer Rolle als Elaha gelingt es der Hauptdarstellerin Bayan Layla die innere Zerrissenheit zwischen der Liebe zu ihrer Familie und der Sehnsucht nach sexueller Selbstbestimmung mit großer emotionaler Kraft auf die Leinwand zu bringen. Dafür wurde sie mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, wie dem First Steps Götz-George-Nachwuchspreis 2023.
Interview geführt von Ron Junghans
Milena, ‚Elaha‘ ist dein Langspieldebüt, das gleich bei der Berlinale internationale Premiere feiert, wie geht es dir damit?
Milena: Ich bin sehr dankbar, glücklich und zufrieden. Wir haben das so nicht erwartet. Aber jetzt sind wir hier und ich bin sehr glücklich, was man mir vielleicht auch ansieht..
Ja absolut. Bayan, wie war es für dich mit Milan zusammenzuarbeiten?
Bayan: Es war großartig. Es war ein langer Prozess, wir hatten viele Gespräche, zwei Wochen Proben. Wir haben sehr viel über das Drehbuch geredet, aber das haben wir auch irgendwie immer wieder gemacht, auch bei den Castings. Und beim Dreh war des großartig. Von meiner Seite aus kann ich nur sagen, hundertprozentiges Vertrauen. Und im Nachhinein, jetzt, wo ich den Film gesehen habe, habe ich immer wieder gedacht; Großartig. Und ich habe ganz genau gewusst und gesehen, zum Beispiel bei der Szene am Auto, was genau Milena meinte mit ihrem Feedback und das ist natürlich einfach großartig, wenn das Vertrauen auch am Ende belohnt wird.
Ich finde es immer spannend, wenn eine Regisseurin oder ein Regisseur eine Idee für einen Film hat, welche Themen sich dabei ausgesucht werden und wie es am Ende umgesetzt wird. Dieses Thema, um was es in ‚Elaha‘ geht, kam das zu dir, hast du das schon lange im Kopf gehabt, war das Zufall, weil man hätte sich auch quasi etwas „leichteres“ aussuchen können, als Spielfilmdebüt.
Milena: Das war nicht Zufall, ich beschäftige mich schon seit Ewigkeiten damit. Ich hätte nicht gedacht, dass ich irgendwann mal daraus einen Film machen werde.
Aber es war schon immer sehr wichtig für mich eine Geschichte zu erzählen, wo es um den Frauenkörper geht, wo es darum geht, dass Frauen diesbezüglich anderen Regeln unterzogen werden als zum Beispiel bei Männern. Wenn es um Reinheit geht oder wenn es um Jungfräulichkeit geht, dass da Frauen eher bewertet werden, und das wollte ich auf jeden Fall auch irgendwann mal aufgreifen. Und vor 4 Jahren, als ich dann an der Filmakademie begonnen habe, habe ich mir gedacht, okay, jetzt wird es mal Zeit dass ich endlich diese Geschichte erzählen kann und auch muss. Und jetzt sind wir hier.
Bayan du bist in Syrien geboren, Milan du bist Kurdin, da könnte man denken, genau diese Thematik von ‚Elaha‘ ist euch auch persönlich in irgendeiner Form bekannt. Ist das so?
Bayan: Ich habe bei meiner ersten Castingrunde eine sehr lange Rede darüber gehalten, weil ich das Drehbuch gelesen habe. Ich musste wirklich meinen Laptop einmal ganz wütend zu machen bei einer Szene, und ich war wütend, ich habe geweint und es gab auch einige Szenen wo ich lächeln musste und dass ich sehr überrascht war. Weil wirklich Sätze wortwörtlich so zu mir gesagt wurden oder zu anderen Freundinnen von mir die ich kenne.
Obwohl ich und Milena wo ganz anders aufgewachsen sind. Also ich bin in Syrien aufgewachsen und erst mit 19 Jahren nach Deutschland gekommen. Milena ist inzwischen Deutschland und Armenien aufgewachsen. Das heißt, ich dachte mir so, sie muss doch aus meiner Heimatstadt kommen, weil sie so konkret war. Und das war für mich ein Zeichen, wie universell diese Geschichte ist und gleichzeitig aber auch sehr konkret in bestimmten Hinsichten, was nur Elaha’s Fall angeht. Und deshalb ist das Thema an sich natürlich uns sehr bekannt und gleichzeitig sehr spezifisch und sehr verdichtet.
Seid ihr demnach auch im Leben mit Vorurteilen diesbezüglich konfrontiert?
Milena: Was die Thematik an sich angeht; also ich hatte Eingangs erwähnt, dass ich mich schon immer damit beschäftigt habe, weil es natürlich auch im Freundeskreis immer wieder ein Thema war. Es ging auch um Jungfräulichkeit. Wir haben nie laut darüber gesprochen, aber es ist immer so mitgeschwommen. Wir wussten, okay, da gibt es etwas, aber wir dürfen nicht darüber sprechen.
Aber es gab natürlich auch andere Fälle, wo wir das Gefühl hatten, warum wird ein Mann ganz anders bewertet als seine Frau und das ist mir im privaten passiert, aber das hab ich auch natürlich beobachtet, auch im Film und Fernsehen oder auch in der Werbung, wo ich mich immer gefragt hab, warum muss die Frau da immer so reduziert werden auf ihren Körper und und warum ist Unschuld immer was ganz tolles, warum ist die Mutter Maria so asexuell und das sind so Punkte die mich begleitet haben im privaten Kontext, aber auch allgemein.
Hat sich dazu bei dir irgendwas in den letzten Jahren verändert zu dem Thema und dessen Beurteilung?
Milena: Also ich lebe in einer Blase und in meiner Blase leben sehr viele Menschen die natürlich sehr emanzipiert sind, sehr laut sind und das ist auch schön, das sind Menschen womit man sich auch identifizieren kann und die Inspirationsfiguren sind. Aber natürlich gibt es auch Communities oder auch Lebensrealitäten wovon ich noch keine Ahnung habe, da möchte ich jetzt nicht für alle sprechen, ich kann immer nur für mich sprechen und sagen, es hat sich sehr viel verändert und es liegt allen voran daran, dass es Menschen in der Öffentlichkeit gibt, die mittlerweile eine Stimme für uns sind. Ja, also denke ich schon dass sich sehr viel verändert hat.
Bayan, waren für dich gewisse Szenen im Film besonders emotional oder schwierig zu spielen? Denn du hast ja schon ein paar harte Szenen, die sehr emotional sind. Vielleicht auch im Hinblick auf das Zusammenspiel mit dem Cast.
Bayan: Ja, also auf jeden Fall die Szene die ich vorhin erwähnt habe mit Armin Wahedi am Auto.
Diese „Übergriffsszene“, das war die Szene beim Drehbuch lesen, wo ich meinen Laptop zugemacht habe und so richtig wütend war und ich hab mir gedacht, die Szene ist unfassbar wichtig. Und deshalb glaube ich hatte ich auch diesen Druck, dass diese Szene gut werden muss. Weil darin das steckt, was finde ich diesen Film so toll macht, das es nicht nur zeigt dass es nur Monster und Opfer gibt. Also Menschen die Böse sind, das sind zum Beispiel die Eltern, die die Tochter umbringen wollen. Und dann gibt es die Töchter die Opfer sind. Es ist aber viel komplexer, diese Figur von Armin Wahedi „Nasim“, die Armin toll gespielt hat, finde ich, ist super interessant, weil er ist „anders“, er ist eigentlich ein ganz toller junger Mann und trotzdem ständig unter diesem Druck von außen. Er kommt in so eine Situation wo er sich so verhält wie er sich im Film verhält. Und dann aber auch sehr schnell ein wenig reflektiert, sich entschuldigt.
Und dann gibt es auch diese Momente wo Elaha stark sein muss, für beide sozusagen, und dann so weitermacht und bestimmte Entscheidungen trifft.
Und das fand ich dann sehr sehr krass bei dieser Szene, weil ich wusste, auch beim Drehen wird es nicht einfach sein, bei der Leseprobe habe ich wieder geweint und musste kurze Pause machen. Und beim Dreh war es natürlich auch herausfordernd und sehr anstrengend. Wir haben auch die Szene in der Nacht nachdrehen müssen und so weiter. Aber wir hatten eben dieses gegenseitige Vertrauen, deshalb war das kein Problem.
Und noch etwas was ich erwähnen würde ist die Szene im Krankenhaus mit der Familie. Weil die Producerin Mina Smajic hat mich ein paar Tage davor angerufen und hat mich gefragt was brauchst du als Schauspielerin das dieser Tag für dich angenehm ist. Und das ist so wertvoll, das ist traumhaft für eine Schauspielerin, weil sie gesagt hat, dann machen wir alles mit den passenden Lichteinstellungen, dann kommst du ans Set und dann drehen wir das sofort.
Es ist unfassbar schön das Gefühl zu haben, dass das ganze Team daran arbeitet, dass dieser Film sehr gut wird, aber gleichzeitig, dass die Menschen sich dabei wohlfühlen und dass sich so viele Leute darum gekümmert haben.
Milena: Und was ich noch sagen wollte, was ich sehr wichtig finde; im Buch habe ich das so geschrieben, dass der kleine Junge Sami eine cerebrale Hirnschädigung hat, also eine Gehbehinderung, und mir war es ganz wichtig, dass ich nicht einen Jungen besetze, der eben dann eine Gehbehinderung spielt, sondern uns war es sehr wichtig, dass wir einen kleinen Jungen haben, der auch diese Behinderung tatsächlich mitbringt.
Sehr viele Menschen meinten dann zu mir, Milena, du tust dir da was ganz ganz schlimmes an, du wirst Probleme haben mit einem behinderten Jungen am Set zu drehen, also allein was wir für Fürsorge und Förderung doch benötigten, er kann sich keinen Text merken usw. Das waren teilweise wirklich verletzende Sätze und Worte und ich dachte oh jetzt erst recht und dann haben wir einen Monat vorher den kleinen Sami über die kurdische Gemeinde gefunden und es war wirklich ein Glück, dass er da war, der hat so viel mitgebracht und ich musste ihm nicht sagen, mach das so oder so, sondern er war einfach da und hat gespielt und ich war so Stolz. Denn es bedeutet, schaut her, Inklusion kann stattfinden und funktionieren, auch in unserer Branche und das möchte ich gerne hervorheben, dass der kleine Sami beziehungsweise Réber Ibrahim da auch auf seine Kosten gekommen ist.
ELAHA
Kinescope Film
Kinostart: 23. November 2023
Regie: Milena Aboyan
Drehbuch: Milena Aboyan & Constantin Hatz
Cast: Bayan Layla, Derya Durmaz, Hadnet Tesfai, Cansu Leyan, Nazmi Kirik, Armin Wahedi, Slavko Popadić, Derya Dilber, Beritan Balci, Homa Faghiri, Réber Ibrahim