KolumneKommentar: Kongo - der vergessene Konflikt

Kommentar: Kongo – der vergessene Konflikt

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Die folgenden Zeilen sind vielmehr ein persönlicher Kommentar als Kolumne. Thematisch geht es in eine ganz neue Richtung. Es wird politisch, ernst und beschäftigt mich seit langem. In diesen Tagen aber (erneut) mehr denn je. Mein Kommentar nimmt sich Afrika an, genauer die Demokratische Republik Kongo. Ein gebeuteltes Land wie kaum ein zweites in Afrika. Arm und doch so Reich. Als „Kongo-Freistaat“ einst ausgebeutet von Kolonialmächten wie Portugal, Niederlande, England und Belgien. Sklaven aus dem Kongo wurden nach Europa und Amerika verschifft. Insbesondere die durch den belgischen König Leopold II betriebene systematische Ausplünderung und den „Kongogräuel“ (um 1908), erlebte der Kongo seine dunkelste Zeit. Durch Geiselnahmen, Tötungen, Verstümmelungen und Vergewaltigungen fanden acht bis zehn Millionen Kongolesen den Tod.
Die grausamen Exzesse sorgten weltweit für Schlagzeilen. Die Kolonialmacht Belgien geriet unter Druck.

Außerdem, wie in vielen Kolonien der Welt seinerzeit, nahmen auch die Unabhängigkeitsbestrebungen im Kongo zu. Es folgten erste Unruhen. Unter dem Druck der Weltöffentlichkeit zog sich Belgien Anfang 1959 dann aus dem Kongo zurück und hinterließ ein Chaos.
Am 30. Juni 1960 wurde die „Republik Kongo“ schließlich unabhängig.

Die Geschichte des Kongo muss man verstehen und kennen, um die heutige Situation nachvollziehen zu können. Denn auch heute wird das Land, und das kann man auf viele afrikanische Staaten beziehen, ausgebeutet. Nicht mehr direkt von Kolonialmächten vor Ort. Indirekt aber von den Abnehmern der wertvollen Bodenschätze des Landes. Auch Deutschland gehört dazu. Und auch heute schaut man gerne über Missstände, Wahlbetrug, Korruption, Vergewaltigungen, Chaos und Krieg hinweg, solange der Kongo das wertvolle Cobalt oder Coltan für unsere Handys liefert. In vielerlei Hinsicht hat sich im Kongo nicht viel gerändert. Nur bekämpfen sich im Land vermehrt die Kongolesen selbst. Weniger aus politischen Gründen, sondern vielmehr aus wirtschaftlichen. Diese Spirale der Gewalt um Macht, Geld und Einfluss entspringt der ausbeuterischen Kolonialzeit durch die Europäer. Seither erlebt der Kongo dutzende Kriege und Auseinandersetzungen.

Seit dem Ende der belgischen Kolonialzeit 1960 gab es noch nie einen friedlichen Machtwechsel im rohstoffreichen Kongo. Das Land mit über 200 Ethnien konnte durch die zahlreichen Konflikte nie zusammenwachsen. Die Regierung hat in der Bevölkerung quasi keinerlei Vertrauen. Vor allem in den ländlichen Regionen haben diejenigen das Sagen, die gerade die Macht über ein Dorf übernommen haben. Rebellen, Milizen, die ständig wechseln.
Die Eliten des Landes vereinnahmen jeden Reichtum für sich. Für die Bevölkerung bleibt nichts. Der Kongo hat zum Beispiel kaum Infrastruktur. Es gibt nur knapp 3000 Kilometer befestigte Straße, in einem Land mit 2.344.858 km². Zum Vergleich; das knapp siebenmal kleinere Deutschland mit einer Fläche von 357.578,17 km², hat allein ein 13.000 Kilometer langes Autobahnnetz.

Die Demokratische Republik Kongo ist weltweit nicht nur für den Nationalpark Virunga mit seinen bedrohten Berggorillas im Nordosten des Landes, oder den zahlreichen Bodenschätzen bekannt, sondern auch berüchtigt als ein Land der ewigen Konflikte. Doch letzteres scheint aus der Öffentlichkeit verschwunden. Wie 1994 in Ruanda, als die Welt wegschaute, bei einem der größten Massaker überhaupt.

Ein vergessener Krieg – nicht schon wieder Kongo

D.R. Kongo: Das vergessene Land. Verlassen von der Welt, die längst nicht mehr nur wegschaut, sondern es vorzieht komplett die Augen zu verschließen. Die Ursache vielen Übels liegt wie beschrieben im Grauen der Kolonialisierung durch die Europäer.
Derzeit erlebt die D. R. Kongo ein weiteres Unglück: den zweitschnellsten Ebola-Ausbruch der Geschichte. Hinzukommen Angriffe auf Helfer und Einrichtungen. Jüngst wurde erst ein Ebola Zentrum zerstört. Der Einsatz der freiwilligen Helfer lebensgefährlich. Hilfen kommen so nicht überall an. Seit Ende März ist die Zahl der Erkrankungen um fast 50 Prozent in die Höhe geschnellt. Über 1100 Menschen sind seither gestorben. Das Virus, das die Krankheit Ebola verursacht, ist eines der tödlichsten der Erde – mehr als die Hälfte aller, die es infiziert, stirbt. Seit August 2018 geht es nun wieder in der Demokratischen Republik Kongo um.
Der Ebola-Ausbruch ist noch immer nicht unter Kontrolle, im Gegenteil, hier stehen wir kurz vor einer neuen Epidemie.
Impfungen, die es inzwischen gibt, werden nicht von allen angenommen. In der Bevölkerung herrscht ein großes Misstrauen gegenüber dem Gesundheitswesen, ausländischen NGO’s und gegenüber der Krankheit selbst. Das Gerücht, es handelt sich bei Ebola gar nicht um eine echte Krankheit, sondern um eine erfundene Panikmache, um Teile der Bevölkerung „unter Kontrolle“ zu bekommen, oder gar schlimmeres, hält sich hartnäckig. Die Helfer vor Ort treffen auf zahlreiche Hindernisse, die die Eindämmung des gefährlichen Virus stark beeinträchtigen.

Wäre das nicht schon genug, kämpfen vor allem im Ost-Kongo seit über 20 Jahren mehr als 100 Rebellengruppen um wertvolle Bodenschätze. Sie bekämpfen sich gegenseitig und gegen korrupte Regierungstruppen. Und finanzieren sich u.a. durch Gold, Diamanten und Coltan. Außerdem haben sich seit dem Völkermord an den Tutsi in Ruanda 1994, bei dem innerhalb von nur drei Monaten ca. 800.000 Menschen starben, Rebellen der Hutu-Milliz im Kongo breit gemacht. Ein weiterer Unruheherd.

Kongo – Welt-Hauptstadt der Vergewaltigung

Systematisch vergewaltigen die Rebellen Frauen, um die Gesellschaft zu zerstören. Hunderttausende erleiden unermessliches Leid.
Kannibalismus, Enthauptungen, Massenvergewaltigungen – Milizionäre und Soldaten verüben grausame Kriegsverbrechen.

In der Demokratischen Republik Kongo wird sexuelle Gewalt systematisch als Kriegswaffe eingesetzt. Junge ­Rebellen (inkl. Kindersoldaten im Alter von 7-13 Jahren) werden dazu gezwungen – auf Befehlsverweigerung steht die ­Todesstrafe. Fast jede Frau im Kongo kann eine Geschichte über sexuelle Gewalt erzählen.
Ein Beispiel: in Luvungi in der Provinz Nord-Kivu im Osten des Landes und in 13
umliegenden Dörfern, wurden unter massiver Gewalt 387 Menschen in vier Tagen vergewaltigt – 300 Frauen, 55 Mädchen, 23 Männer und neun Jungen. Meist von mehreren Männern gleichzeitig und vor den Augen der Familien. Das jüngste Opfer war zwei Jahre alt, das älteste 79. Fast alle wurden mehrfach misshandelt und sind bis heute schwer traumatisiert.
Die systematischen Vergewaltigungen waren eine gezielte Bestrafungsaktion durch die FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas).

Einige Milizen tragen weibliche Genitalien als Abzeichen. Ganze Dörfer sind zerstört worden. Jungen werden gezwungen, ihre Mütter zu vergewaltigen. Zeugen beobachteten Leute dabei, wie sie Fleisch von noch lebenden oder toten Menschen, insbesondere FARDC-Soldaten (Streitkräfte der Demokratischen Republik Kongo), abgeschnitten, gekocht und gegessen sowie ihr Blut getrunken haben, so beschreibt ein UN-Bericht die unfassbaren Zustände in weiten Teilen des Ost-Kongo.

Die UNO bezeichnet den Kongo als „Welt-Hauptstadt der Vergewaltigung“ und spricht vom „gefährlichsten Land für Frauen“. Die sexuelle Gewalt nimmt immer weiter zu. Über eine halbe Million Frauen sind seit Beginn des Krieges 1998 vergewaltigt worden.

Durch die Konflikte, die Tausende Todesopfer gefordert haben, sind Millionen Menschen auf der Flucht, im Dezember 2018 warnte UNICEF, dass mindestens 400.000 Kinder in der Region vom Hungertod bedroht seien.

Zur Zeit sind rund 17.000 Blauhelmsoldaten in dem zentralafrikanischen Land stationiert. Mit einem Etat von rund 1,1 Milliarden Dollar pro Jahr ist die seit 1999 laufende „Monusco“-Mission der teuerste und größte Einsatz der Vereinten Nationen. Und es ist eine Kampfmission. Die UN-Soldaten sind demnach berechtigt Rebellen anzugreifen. Anders als beispielsweise bei den katastrophalen Massakern in Ruanda, als die Blauhelme nicht eingreifen durften, bzw. nur in Form von Selbstverteidigung.

Aber auch die UN-Soldaten können nur in kleineren Gebieten, bei Patrouillieren für Sicherheit sorgen. Nicht aber im ganzen Land. Und nicht Nachts, wenn die Rebellen aus den Bergen in die Dörfer kommen um weiter zu töten, vergewaltigen, verstümmeln, rauben.

„Ich habe das Gefühl, dass die Welt uns leiden sehen möchte“, sagt Thérèse Mema Mapenzi. Die Traumatherapeutin betreibt ein „Haus der Beratung“ in Bukavu. Die Geschichten, die sie hört, übersteigen alles Erträgliche.
„Die Leute reden so viel über Kriege in anderen Ländern, aber wenn es um die Demokratische Republik Kongo geht, dann heißt es oft: ’nicht schon wieder Kongo!‘.“

„Manchmal fühle ich mich machtlos, wenn ich den Frauen zuhöre. Oft fehlen mir die Worte, um mein Mitgefühl zu zeigen. Ich höre dann einfach zu und schaue sie an“, so
Mapenzi.
Das bittere neben all dem Leid, ist die Tatsache, dass sich in all den Jahren nichts an der Situation geändert hat, obwohl die Geschichten bekannt sind.

Die Situation, ob im Kongo, in Nordafrika, Syrien, Jemen oder der Rohingya in Myanmar, führt uns vor Augen, warum es weltweit über 68 Millionen Menschen auf der Flucht gibt: Weil es uns nicht gelingt, gemeinsam Konflikte zu verhindern. Jedes Mal aufs neue versuchen wir lediglich, die eigentlich nicht zu bewältigenden humanitären Folgen zu bewältigen. Wir stehen vor viel umfassenderen Problemen.
Doch eigentlich schauen wir lieber weg. Für die Medien sind diese Ereignisse bestenfalls eine Nebenschlagzeile.
Doch für unseren bedingungslosen Konsum und Reichtum nehmen wir viel in Kauf. Wir hinterfragen zu wenig. Wird drücken uns vor der Verantwortung, vor dem Hinsehen. Wir akzeptieren, dass die blutverschmierten Reichtümer anderer Länder, zu unserem Wohlstand beitragen.
Der an Bodenschätzen so reiche Kongo, ist eines der ärmsten Länder der Welt. Weil er nichts von seinem Reichtum hat. Die Minen werden von Rebellen oder korrupten Regierungsbeamten kontrolliert. Auch wenn aller Versuch unternommen wird dies zu ändern. Durch die illegalen Geschäfte ins Ausland, entgehen dem Staat Kongo hunderte Millionen an Steuergeld. Geld was fehlt, für Schulen, Infrastruktur und vielen mehr. Entwicklungshilfe versickert in den Taschen der Eliten.

Und das Morden und vergewaltigen? Es geht weiter. Jeden Tag. Bei aller Anstrengung ist klar, eine Befriedung des Kongo dauert Jahre, wenn nicht Jahrzehnte. Doch danach sieht es nicht aus. Die Regierung scheint dazu nicht Willens genug. Ihre Bekämpfung der Rebellengruppen ist eher halbherzig. Kein Wunder, wechseln doch Regierungssoldaten die Seiten wie ihnen gerade beliebt. Die Regierung betreibt eine Mischung aus Bekämpfung und Überzeugung. Die zahlreichen Rebellen verfolgen nur wirtschaftliche Ziele. Die Sicherung und Eroberung von Minen und Landstrichen. An Frieden ist keine der beiden Seiten interessiert. Zu sehr profitiert man am Krieg, der Vertreibung und an den illegalen Geschäften mit den Bodenschätzen.
Dafür trägt die restliche Welt eine Mitverantwortung.
Doch solange der Nachschub an den wertvollen Mineralien gesichert ist, wird sich daran nichts ändern. Nach dem Motto; Geld ist dicker als Blut. Das Interesse an ein friedliches Kongo hält sich, trotz der UN-Mission, in Grenzen.
Die Welt schaut weg. Wieder einmal. Es ist ja nur Afrika.

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