Zugegeben, eigentlich wollte ich diese Kolumne gar nicht schreiben. Oder besser gesagt, ich wollte sie schreiben, aber nicht an dieser Stelle veröffentlichen.
Denn alle bisherigen Kolumnen drehen sich im weitesten Sinne um das Thema Film oder Serien.
Diese hier hat aber wenig damit zu tun. Sondern dreht sich vielmehr um ein persönliches
Gefühl. Um Sehnsüchte und Fernweh – was gleichzeitig auch ein Heimweh ist.
So gleicht diese Kolumne eher einem Reiseblog.
Die folgenden Zeilen sind ohnehin permanent in meinem Kopf. Warum sie nicht aufschreiben und teilen. Ist schließlich eine Kolumne.
Wahrscheinlich liegt es an der Jahreszeit. Vielleicht. Obwohl ich im Winter ähnliches empfand.
Jedenfalls überkommt mich seit Wochen ein eigenartiges, aber vertrautes Gefühl.
Eine Mischung aus Melancholie, Sehnsucht und Fernweh.
Ich möchte raus. Ich möchte dem Alltag entfliehen. Über kurz oder lang. Auch wenn ich meinen Job sowie Berlin sehr liebe.
Wohin meine Gedanken ziehen? Nach Italien. Meinem Italien. Meine Erinnerungen daran. Und diese sind stets präsent. Und sie überkommen mich in regelmäßigen Abständen. Gerade ist es wieder soweit.
Sie sind voller Emotionalität. Mit keinem anderem Land, ausgenommen Deutschland, verbinde ich so eine starke Verbindung. Bei Italien ist es aber noch etwas anderes, es ist eine besondere Zuneigung. Das liegt daran, dass ich bereits in jungen Jahren sehr viel Zeit in Bella Italia verbracht habe. Zeitweise habe ich dort gewohnt. Für einige Wochen, ein paar Monate.
Die Verbindung mit diesem Land war stets da, auch wenn ich lange wieder in
Deutschland lebte und meine Besuche im Süden schon wieder Jahre zurückliegen.
Wie alles begann
Ich hatte einst eine italienische Freundin. Ihre Familie lebte unweit von Florenz, der Hauptstadt der malerischen Toskana, wo sich wie nirgendwo auf der Welt so viele Kunstschätze auf einem Fleck befinden. Jeder weltweit zehnte bedeutende Schatz ist in der „Welthauptstadt der Kultur“ ansässig.
Und diese Familie war was für eine! Es dauerte, ehe man mich, den Deutschen akzeptierte. Der Fremde. So herzlich und gastfreundlich sie auch waren. Ausländer war ich trotzdem. Zumindest am Anfang.
Besonders der Papà war sehr skeptisch ob ich denn „der Richtige“ für seine wunderschöne und einzige Tochter sei. Sie war eine Heilige, innerhalb der Familie. Die einzige Tochter, neben zwei Söhnen. Ich konnte, ich durfte es nicht „versauen“. Und er ließ mich dies auch spüren, er testete mich. Ich nahm es gelassen, obwohl er mich, damals als junger Kerl, gut einschüchtern konnte.
Aber mir gelang es schnell das Vertrauen der Familie zu gewinnen. Indem ich einfach ich selber war. Offen und ehrlich der Familie begegnete. Die eine oder andere spitze Bemerkung, auch wenn ich es nicht immer verstand, dezent überhörte.
Die Familie musste anerkennen, unsere Liebe ist echt. Wahrhaftig. Und wenn du dazu zu einhundert Prozent stehst, dann kann nicht mehr viel schief gehen. Das wurde, mit etwas Geduld nicht nur toleriert, sondern schließlich auch akzeptiert. Und wenn du das geschafft hast, dann bist du ein festes Familienmitglied. Das ist typisch italienisch. Steh zu deinen Gefühlen, zeige sie. Leidenschaft wird hier, anders als in Deutschland, gelebt. So war auch die Familie. Wie aus dem Bilderbuch.
Eine kuriose Anekdote; ich habe (und jetzt kommen wir doch noch zum Thema Film, und das, anders als es klingen mag, Klischeefrei!) nur ein paar Wochen vorher die grandiose „Der Pate“ Trilogie gesehen. Und ich erinnere mich gut daran, wie die halbe Familie (mindestens 12 Personen) und ich in ihrem Haus in der Toskana an einem langen Tisch saßen und das köstliche Essen zu uns nahmen. In einem stillen Moment bewegte sich die Szenerie für mich in Slow-Motion, mit der Titelmusik aus „Der Pate“ im Ohr, den Gesprächen über Familie und den Eigenheiten einer solchen großen Familie, was völlig neu für mich war (ich komme im Gegensatz dazu aus einer kleinen Familie, die sich mit den Jahren immer weiter dezimiert hat). Wie die Kinder im großzügigen Garten (eigentlich war es ein riesiges Stück Land) spielten, wie aus einem – DEM Film. Ich spürte in diesem Moment eine Glückseligkeit, die mir bis dahin fremd war. Zumindest in dieser Form. Ein schwer zu beschreibender Zustand.
Dieses Bild und dieser magische Moment haben sich in mir eingebrannt. Zu dieser Zeit in Italien passierte etwas mit mir. Ich war verzaubert, verliebt, gefesselt und glücklich.
Diese Zeit ist unvergessen. Wenn auch leider vorbei.
Bedingt durch ein tragisches Schicksal. Auf das ich an dieser Stelle nicht weiter
eingehen möchte.
Auch dieses Schicksal verbindet mich auf Lebenszeit mit diesem Land.
Was neben Lebensfreude, Leidenschaft, Glückseligkeit auch Melancholie und
Traurigkeit mit einschließt.
So wie die italienische Seele. Ganz oder gar nicht. Temperamentvoll. Man lebt und liebt Leidenschaftlich wie man hasst, sich freut, trauert.
Und dieses Lebensgefühl und die Einstellung über das Leben hat sich auf mich übertragen. Ich versuche deshalb stets das positive zu sehen. Mich nicht über Kleinigkeiten zu ärgern, was schwierig ist und nicht immer gelingen mag. Doch sollten wir uns viel mehr über die vielen schönen Dinge im Leben freuen. Die kleinen Momente im Leben, die wir so oft übersehen.
Italien ist ein kaum beschreibbares Gefühl. Eines, dass ich in den meisten anderen Ländern in denen ich gereist bin, so nie verspürte.
Und so ist es in diesen Tagen wieder da – dieses Kribbeln, der Wille der Hektik und dem Alltag entfliehen zu wollen. Nach Italien. Sei es nur für ein paar Tage. Oder vielleicht auch länger.
Ich kann nicht genau sagen wie oft im Jahr mich dieses Gefühl übermannt. Fakt
ist, dass ich nicht jedesmal spontan die Koffer packen kann. Nicht, dass ich es
nicht schon getan habe. Aber eine gewisse berufliche Bindung an Berlin lässt das eben nicht immer zu.
Folge deinem Herzen
Fernweh nach Italien bedeutet für mich, nach diesen Erlebnissen, gleichzeitig auch Heimweh. Weil Italien für mich gefühlte Heimat ist. Dazu braucht es keine Familie. Sondern dieses Gefühl für mehr als diesen einen Ort.
Oft sagt mir mein Bauchgefühl, jetzt sei es an der Zeit – dorthin, wo du einst dein Herz verloren hast, zurückzukehren.
Vor ein paar Jahren hatte ich die Möglichkeit für eine längere Zeit dort zu
leben, arbeiten und zu wohnen. Aus privaten Gründen war dies nicht möglich.
Damals eine schwere Entscheidung für mich, meinem Herzen und Bauchgefühl nicht folgen zu können. Manchmal muss man, zum Wohle anderer, eigene Gefühle zurückstellen. Das war damals so.
Es sollte nur niemals ein Dauerzustand sein.
Während ich derzeit meinen nächsten Trip nach Italien schon vor Augen
habe und plane, spiele ich gleichzeitig mit dem Gedanken vergangenes nachzuholen. Warum nicht jetzt, oder in absehbarer Zeit für ein paar Wochen, Monate oder sogar noch länger „verschwinden“. Einfach so.
Diese „innere Unruhe“ nicht weiter unterdrücken. Diese Gedanken hat sicher jeder einmal. Und klar, es ist einfacher gesagt als getan.
Ich glaube bei mir kommt es, neben der Liebe zum Reisen, auch daher, dass ich im Leben bisher über vierzehnmal umgezogen bin. (Zwischenzeitliche Aufenthalte über Wochen/Monate in anderen Städten nicht mitgerechnet). Nach einer gewissen Zeit verspürt man dann eben so ein; „ich könnte mal wieder weg“-Gefühl. Feststeht aber, dass ich nicht vorhabe einen neuen Weltrekord im „Wohnungswechsel“ anzustreben! Das eine oder andere Mal wird aber wohl noch unausweichlich sein.
Liebe geht durch den Magen
Neben der Schönheit der Natur, den Düften, der Leichtigkeit, der Sprache, der Kultur (die Hälfte der weltweit bedeutendsten Kulturgüter befinden sich in Italien), hat der kulinarische Aspekt ein bedeutendes Gewicht wenn man an Italien denkt, bzw. sich vor Ort befindet.
Nicht umsonst heißt es; Liebe geht durch den Magen. Und wie sehr kann man diesen Satz auf das italienische Essen und Trinken übertragen! Kennst du die kulinarischen Besonderheiten eines Landes, kennst du die Menschen. Gut, der ist jetzt von mir. Nach meinen Erfahrungen aber wahr.
Neben den unzähligen Variationen an Pasta, Pizza und Antipasti, ist es insbesondere auch der Caffè in allen möglichen Formen sowie der typische italienische Espresso, den man mit Italien verbindet.
Nirgends, wirklich in keinem Land außerhalb Italiens, habe ich jemals so guten Caffè bzw. Espresso getrunken.
Und es so oft vermisst. Egal wo ich auf der Welt war. Oder hier in Deutschland.
In einem italienischen Caffè, Trattoria oder direkt an der Bar einen Espresso zu genießen (in Italien nimmt man den kurzen aber intensiven und heißen Genuss eines Espresso direkt an der Bar im Stehen ein).
Oder wahlweise auf der Piazza gemütlich, dann gerne auch sitzend,
eine Kaffeespezialität und dazu Gebäck wie Cassata oder Cannoli.
Bei allen Vorzügen und Genüssen gibt es natürlich auch viele Dinge die einem an Italien nerven können. Die vielen kleinen Alltagsprobleme.
Doch die Kunst, trotz allem, offen zu bleiben für die schönen Dinge im Leben die uns permanent begegnen, das ist es, was die italienische Lebensart bestimmt. Sicher, nicht selten aus der Not heraus.
Davon kann man sich in Deutschland eine Scheibe abschneiden.
In Italien lernt man einfach die täglichen Freuden des Lebens zu genießen.
Weil man nicht so tut als ob, sondern man lebt wie man ist. Und das mit voller
Hingabe, Temperament und Leidenschaft. Das mag klischeehaft klingen, ist aber einfach so.
Das alles vermisse ich manchmal. Und jetzt gerade besonders.
Ohne Frage, auf dieser Welt gibt es so viele wunderschöne Plätze und tolle Menschen.
Aber ich kenne keinen Ort, an dem Kulinarisches mit Kunst, Natur, Architektur und Lebensweise so zu einer perfekten Symbiose verschmelzen wie in Italien.
Reise zu dir selbst
Zum Schluss noch eine alte Weisheit die man nicht oft genug kundtun kann; Reisen bildet.
Reisen erweitert den eigenen Horizont. Meine inzwischen verstorbene Urgroßmutter sagte einmal zu mir, da war ich vielleicht 14 oder 15 Jahre jung; „bevor du dich bindest, sieh dir die Welt an, bevor du nicht mehr dazu kommst. Es ist die beste Bildung des Lebens.“
Bis heute haben sich diese Worte in meinem Gehirn eingebrannt. Und ich habe es mir sehr zu Herzen genommen. Denn sie hatte einfach recht. Auch wenn ich so viele Orte noch nicht gesehen habe, dafür ist das Leben einfach zu kurz um alle 1000+ must-see places sehen können. Aber ich habe, kaum war ich 18 damit angefangen. Alles davor waren eher kleine Ausflüge. Mit dem ersten eigens verdienten Geld in der Tasche, bin ich losgezogen. Im Zug. Durch halb Europa. Das erste Ziel; Italien. Mailand, Turin, Rom. Es war meine erste längere selbstständige Reise. Was habe ich alles erlebt in diesen Wochen. Ich habe mehr über das Leben gelernt, über die Menschen, als in all den vielen Schuljahren davor. Jeder der die Möglichkeit dazu hat, sollte sich die Welt ansehen. Oder auch die eigene Nachbarschaft, denn vielen ist selbst diese fremd.
Obwohl ich derzeit nicht ständig umherreise, lebe ich mit dem Rat meiner Urgroßmutter im Ohr. So, als wäre man noch auf der Suche nach dem perfekten Platz, wo man sein Leben verbringen will. Nun, ganz so ist es nicht. Oder vielleicht doch? Ehrlich gesagt, manchmal bin ich mir nicht sicher. Ich denke nicht explizit ans Auswandern. Ich weiß nur wo sich meine nächste Destination befindet; in Italien. Ob irgendwann vielleicht für längere Zeit kann ich nicht ausschließen. Nicht ganz unerheblich ist die geografische Nähe zu Berlin/Deutschland.
Reisen ist auch deshalb so wertvoll, weil jede Reise letztlich zu einem selbst führt. Es macht die Gedanken frei. Und genau das brauche ich gerade.
Mit diesen Gedanken und der Vorfreude rieche ich schon die Olivenhaine auf den Hügeln der Toskana, die Zypressen, Zitronen und den süßen Duft der Bäume, Blüten oder den der Pinien. Den einmaligen sommerlichen Toskana-Duft und den Duft des Meeres. Ich spüre die Brise auf meiner Haut. Ich sehe vor meinen Augen die Violett- und Goldtöne in der Landschaft. Grandiose Sonnenauf- und Untergänge.
Die Buchten und bunten Häuser von Portofino an der Riviera und Positano an der Amalfiküste mit einer Synthese aus Okzident und Orient vor Augen. Die Schönheit und Romantik der Inseln Capri, Ischia oder der benachbarten noch nicht überlaufenden Insel Procida mit arabischen Einflüssen. Und die zahllosen Strände. Ich kann das Land förmlich schmecken.
Ganz abgesehen von der schier überwältigten Anzahl an kulturellen Reichtümern. Italien, die Heimat von bedeutenden Künstlern und Architekten wie
Leonardo da Vinci, Michelangelo, Raffael, Bellini, Botticelli oder Galileo Galilei, Bartolommeo, Palladio und Vasari, ist ein unübertroffenes und faszinierendes Freilichtmuseum.
Bald ist es soweit. Und ich kann mich wieder fallen lassen, in die Leichtigkeit des Seins und kultivierte Lebensart. Das ist für mich das wahre Leben. Und das kann niemals zu schön sein.
Ci vediamo presto, mia cara.
Zum Schluss sei noch ein Film erwähnt, der genau diese „Leichtigkeit“ wiedergibt;
„Call me by your Name“ von Luca Guadagnino.
Ein Film der vor allem eines ist, wie Italien selbst; einfach schön.